Warum Menschen fremdgehen «Der Kern aller Affären liegt darin, sich selbst neu zu begegnen»

Bruno Bötschi

24.4.2024

Anne (Trine Dyrholm) und Gustav (Gustav Lindh): Der Film «Königin» erzählt von einer Anwältin, die eine Affäre mit dem Sohn ihres Mannes beginnt.
Anne (Trine Dyrholm) und Gustav (Gustav Lindh): Der Film «Königin» erzählt von einer Anwältin, die eine Affäre mit dem Sohn ihres Mannes beginnt.
Bild: Square One

Der Reiz des Verbotenen macht eine Affäre aus. Diese werden über den Haufen geworfen, wenn die Liebe ins Spiel kommt. Kann aus einer Affäre eine Beziehung werden? Sexual- und Paarberaterin Bettina Disler weiss Rat.

Bruno Bötschi

24.4.2024

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Bettina Disler arbeitet als systemische Paar- und Sexualberaterin in Zürich.
  • Eine Affäre folgt oft eigenen Regeln. Diese werden oft über den Haufen geworfen, wenn sich zwei Menschen verlieben.
  • Was sollten die beiden Partner unbedingt beachten, wenn aus einer Affäre eine Beziehung wird?
  • «Die wenigsten Menschen gehen eine Affäre ein, damit daraus eine Beziehung werden soll», sagt Disler im Gespräch mit blue News.

Frau Disler, was sind die häufigsten Gründe für eine Affäre?

Die Beweggründe, eine Affäre einzugehen, sind vielfältig. Grundsätzlich lassen sie sich in zwei Kategorien einteilen: Die einen haben etwas mit der Unzufriedenheit der bestehenden Beziehung zu tun. Die anderen werden unabhängig davon eingegangen, wie gut die bestehende Beziehung gerade läuft. Der Kern aller Affären liegt darin, sich selbst neu zu begegnen.

Macht der Reiz des Verbotenen eine Affäre aus?

Nicht alle finden das Verbotene reizvoll. Das Verbot ist jedoch ein Hindernis, das zur Steigerung der Lust beiträgt. Ebenfalls luststeigernd ist die Tatsache, dass man sich nicht immer treffen kann. Der Mix aus Sehnsucht und Verbotenem macht viele Affären zu einem intensiven, erotischen Erlebnis.

Zur Person: Bettina Disler
Bild: zVg

Bettina Disler ist systemische Paar- und Sexualberaterin und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung (DGfS). Nach ihrem Regiestudium an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) und an der New York Film Academy (NYFA) inszenierte sie Opern sowie zahlreiche Filme über unterschiedliche Beziehungs- und Sexualthemen bei Transsexuellen, Frischverliebten, langjährigen Paaren und Singles. Später folgten ein Masterstudiengang in sexueller Gesundheit an der Hochschule für soziale Arbeit Luzern (HSLU) und in systemischer Sexualtherapie bei der Internationalen Gesellschaft für systemische Therapie in Heidelberg (IGST) sowie zahlreiche Weiterbildungen. Disler lebt und arbeitet in Zürich.

Eine Affäre folgt oft eigenen Regeln. Diese werden über den Haufen geworfen, wenn sich zwei Menschen verlieben. Was sollten die beiden Partner unbedingt beachten, wenn aus einer Affäre eine Beziehung wird?

Wenn aus einer Affäre eine offizielle Beziehung wird, fallen mehrere Hindernisse weg. Das heisst, das Ganze verliert an sexueller Spannung. Man kann sich sehen, wann man will, und die Begegnungen finden nicht mehr im Versteckten statt.

Dann kann es passieren, dass plötzlich die Lust aufeinander verloren geht, weil von Anfang an der Treiber der gegenseitigen Erregung vom Verbot und der Sehnsucht gespiesen wurde.

Ist dies einer der Gründe, weshalb es viele Affären nicht in die nächste Phase schaffen?

Der Start jeder Beziehung legt das Fundament, auf dem sie aufgebaut wird. Wenn aus einer Affäre eine offizielle Partnerschaft werden soll, müssen die Karten neu gemischt werden – und das nicht nur sexuell.

Geht es noch etwas konkreter bitte.

Die Beziehung wird darauf aufgebaut, dass mindestens eine Person weiss, dass die andere in der Lage ist, ihr Gegenüber aus der Langzeitbeziehung zu hintergehen. Beide sagen Ja dazu, sonst hätten sie sich nicht auf eine Affäre eingelassen. Das Bejahen dieser sogenannt verbotenen Seiten verbindet stark und macht sie vorerst zu einer Art Partner in Crime. Gleichzeitig wird damit aber auch der Grundstein für Misstrauen gelegt.

Wieso das?

Weil beide oder zumindest eine Person die Erfahrung gemacht hat, dass das Gegenüber dazu imstande ist, untreu zu sein – und dies vielleicht auch in der neuen Beziehung auch so handhaben wird.

Ist dieses Misstrauen einer der Gründe, warum diese Paare irgendwann bei Ihnen in der Praxis sitzen?

Die Gründe sind oftmals eine Kombination von abflachender Lust aufeinander und dem wachsenden Misstrauen. Es gibt zudem noch einen weiteren Punkt, der für Affärenpaare herausfordernd sein kann: das persönliche Umfeld, also Freundinnen, Freunde und Familie.

Welchen Einfluss hat das Umfeld auf eine Beziehung, die sich aus einer Affäre entwickelt?

Affären teilen sich die aufregenden, lustvollen, aussergewöhnlichen Momente miteinander. Sie blenden vorerst bewusst den normalen Alltag aus und teilen das Neue miteinander, was sie mit der langjährigen Beziehung so nicht mehr erleben. Das ist spannend. Doch wenn man sich ineinander verliebt, will man auch das Gewöhnliche miteinander teilen:

Am Sonntagmorgen zusammen aufwachen, gemeinsam etwas mit Freunden unternehmen oder miteinander die Ostertage verbringen. Diesen Wechsel zu vollziehen, ist für Affären besonders schwierig, denn der Alltag wurde ja bis jetzt mehrheitlich mit Menschen geteilt, die noch nichts von der Affäre wissen.

Die Bekanntmachung einer Beziehung wird zum Problem: Wieso das?

Entscheidet sich ein Affärenpaar dazu, ihre Beziehung offiziell zu machen, stösst dies bei den Familienmitgliedern und dem Freundeskreis nicht selten auf Unverständnis und hinterlässt erst einmal verbrannte Erde.

Was empfehlen Sie Paaren, die mit solchen Problemen zu kämpfen haben?

Gegenüber dem Umfeld ist es wichtig, dass diese Paare gemeinsam Aktivitäten und Gespräche mit Freunden und Bekannten initiieren und sich nicht mehr verstecken. Es geht dabei darum, den Menschen um sie herum die Chance zu geben, das neue Paar kennenzulernen und bei Interesse ihnen die Beweggründe offenzulegen. Das ursprüngliche Partner in Crime, das «Wir gegen den Rest der Welt», verwandelt sich in ein «Wir zeigen euch unsere Welt und laden euch dazu ein, uns kennenzulernen».

Was ist wichtig im Umgang mit dem Umfeld besonders zu beachten? Welche konkreten Tipps geben Sie Paaren, die zu Ihnen in die Praxis kommen?

Wie schon gesagt: Das Paar sollte proaktiv auf sein Umfeld zugehen, den Austausch suchen und gemeinsam Zeit verbringen. Freunde und Familie müssen klar spüren, dass beide zu ihrer Partnerschaft stehen und es ihnen damit ernst ist.

Ist ein Mensch nicht nur Sexpartner*in, sondern auch Partner*in in einer Beziehung, bekommt man einen anderen Einblick in den Alltag. Bei den geheimen Treffen wird wohl kaum über das Ausräumen der Abwaschmaschine gesprochen. Irgendwann stellt sich die Frage, ob die entstehende Beziehung dazu taugt, auch weniger prickelnden Momente miteinander zu teilen. Wie findet ein Paar dies am schnellsten heraus?

Wie bei jeder anderen Beziehung auch: indem man es gemeinsam ausprobiert – zum Beispiel mit einem Probewohnen.

Haben Sie noch mehr Tipps?

Den Haushalt zu bewältigen, ist für viele Paare eine Herausforderung. Eine gute Lösung kann sein, wenn man es spielerisch zu lösen versucht. Beide Partner schreiben auf ein Blatt Papier auf, welche Alltagsämtli anfallen, und verhandeln diese danach gemeinsam. Oder sie werfen jeweils eine Münze und wiederholen das Spiel alle paar Wochen.

Wer den Schritt von der Affäre zur Beziehung wagen will, sollte sich möglicherweise auch fragen: Was genau möchte ich von meinem neuen Gegenüber?

Das ist eine Frage, die sich alle Menschen stellen sollten, die eine Beziehung eingehen möchten.

Was halten Sie vom Satz «Bevor du eine neue Beziehung eingehst, solltest du eine Weile allein sein, um die alte Partnerschaft zu verarbeiten»?

Nicht alle beenden zuerst die Beziehung und verarbeiten sie dann. Es gibt auch die umgekehrte Reihenfolge. Wenn man sich auf eine neue Beziehung einlässt, ist es wichtig, dass man mit sich und seinen Gefühlen im Reinen ist.

Aus Ihrer Erfahrung als Therapeutin: Wie gross ist die Chance, dass aus einer Affäre eine Beziehung wird?

Die wenigsten Menschen gehen eine Affäre ein, damit daraus eine Beziehung werden soll. Die Statistik besagt, dass zirka fünf Prozent aller Affären den Schritt in eine offizielle Partnerschaft wagen, die Chance ist also eher gering. Bei mir in der Praxis habe ich sowohl Menschen, die eine Affäre führen, als auch Paare, die als Affäre gestartet haben und sich genau mit dieser Frage beschäftigen:

Schaffen wir das? Weil gerade diese Paare sehr viel riskieren und oft auch viel von ihrem bisherigen Leben aufs Spiel gesetzt haben, ist der Druck, dass die Beziehung jetzt doch funktionieren muss, gross.


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